Benedikt Falz

MEHR ALS BUNTE BLÄTTCHEN –
WIE DAS NOTGELD NACH OSNABRÜCK KAM

(Geldgeschichtliche Nachrichten 55, Heft 312, 2020, Seite 248-256)

Benedikt Falz hat in Osnabrück Geschichte und Politikwissenschaften studiert und sich im Rahmen seiner 2018 bei Sebastian Steinbach geschriebenen Masterarbeit an der Schnittstelle zwischen Neuester Geschichte und Wirtschaftsgeschichte mit dem Notgeld der Stadt Melle auseinandergesetzt. Hauptberuflich arbeitet er als Journalist.

Geld aus der eigenen Stadt im Portemonnaie zu haben, das wurde für viele deutsche Bürger während des Ersten Weltkriegs Realität. Als die kaiserliche Regierung die Bevölkerung nicht mehr ausreichend mit Münzgeld versorgen konnte, begannen viele Kommunen mit der Ausgabe von sogenanntem Notgeld. Bis heute sind die oft ansprechend gestalteten Scheine, die mit Unterbrechungen von der Mitte des Weltkriegs bis zur Währungsreform 1923 kursierten, beliebte Sammelobjekte. Das Interesse am Notgeld rührt auch daher, dass Geld aus einer bestimmten Stadt oder Gemeinde einen Anschein der kommunalen Autono­mie im autoritär geführten Kaiserreich erzeugt.

Abb. 1–4: Die vier Notgeld-Scheine, welche die Handelskammer Osnabrück im Frühjahr 1917 herausgab.

Auslöser war aber vorrangig ein Mangel an Kleingeld, der in vielen deutschen Kommunen ab dem Sommer 1916 immer deutlicher zu spüren war. Da die Reichsbank keine Antwort auf die Problematik fand, begannen Städte und Gemeinden sowie diverse lokale Akteure mit der Emission von kommunalem Notgeld. Zumeist waren dies Pfennigbeträge, da größere Nominale durch Reichskassenscheine gedeckt werden konnten. Dieses Notgeld bestand entweder aus kleinen Münzen (oftmals achteckig, aus Zink oder Eisen) oder aus Papierscheinen und trug meist nicht die Bezeichnung „Geld“ oder „Mark“, sondern Synonyme wie „Gutschein“ oder „Kriegsgeld“ oder die schlichte Umschreibung „gut für …“. Die Maßnahmen zeigten Erfolg: Bis zum Kriegsende brachten mehr als 2.000 Stellen in Deutschland insgesamt 300 bis 400 Millionen Mark Notgeld in Umlauf und übertrafen damit die Geldmenge der staatlichen Münzen deutlich (1918: 170 Millionen Mark).1

Diese Entwicklung erreichte auch die kaiserliche Regierung in Berlin und die preußische Landesregierung. So erklärte der preußische Staatsminister für Handel und Gewerbe, Reinhold von Sydow, im Dezember 1916 seine Zustimmung zur Ausgabe von kommunalem Notgeld: „Da sich die Wirksamkeit der zur Behebung des Mangels an kleinen Zahlungsmitteln getroffenen Maßnahmen erst allmählich fühlbar machen wird, haben wir nach Benehmen mit dem Herrn Reichskanzler (Reichsschatzamt) keine Bedenken dagegen zu erheben, dass die Ausgabe von Ersatzwert­zeichen durch Gemeinden zur Befriedigung des notwendigen Bedarfes an kleinen Scheidemünzen unter zweckentsprechender Aufsicht geduldet wird“,2 betonte er in einer Stellungnahme. Dieses Schreiben ging an Städte, Gemeinden und Regierungsbezirke, die bereits eine Emission vorgenommen hatten oder dies beabsichtigten. Auch wenn es der Ton des Ministers nicht zu erkennen gibt, spricht aus diesem Dokument vor allem das Dilemma, in dem sich Staats- und Landesregierung befanden: Auf der einen Seite bot sich durch kommunale Emissionen die Chance, ein dringendes Problem zu beheben, das die Bevölkerung im mittlerweile dritten Kriegsjahr in ihrem Alltag spüren musste. Auf der anderen Seite bedeutete der Schritt eine teilweise Aufgabe der Geldhoheit, die Kaiser Wilhelm II. für sich beanspruchte. Sy­dow löste diesen Widerspruch, indem er zugestand, das Notgeld „stillschweigend zu dulden“3 und keinesfalls eine Genehmigung auszusprechen.

Situation in Osnabrück und Umgebung
Die Briefwechsel zwischen Kommunen, Handelskammer und Regierung sind daher so aufschlussreich, weil sie uns einen Einblick in Aushandlungsprozesse der historischen Finanzpolitik erlauben. Für einen genaueren Blick auf die Mechanismen der Notgeld-Emissionen im Weltkrieg blickt diese Studie auf den Regierungsbezirk Osnabrück und mehrere Städte in dieser Region. Der Bezirk war Teil der preußischen Provinz Hannover und umfasste die heutigen Landkreise Osnabrück und Emsland, die Grafschaft Bentheim sowie die kreisfreie Stadt Osnabrück. Ins­gesamt lebten im Regierungsbezirk während des Ersten Weltkriegs (nach Zählung im Kriegsjahr 1917) 377.463 Menschen, davon 76.413 in der Stadt Osnabrück selbst.4

Abb. 5: Dieses Schreiben aus dem Dezember 1916 enthielt die offizielle „Duldung“ aus Berlin.

Diese zuvor rein agrarisch geprägte Region erlebte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine teils rasante Industrialisierung und das für diese Periode charakteristische Bevölke­rungswachstum. Neben dem Netz aus Eisenbahn und Telegra­phenlinien wuchsen vor allem die Schwerindustrie – namentlich die Georgs-Marien-Hütte in Stadt und Landkreis Osnabrück –, die traditionelle Textilwirtschaft in Osnabrück, Bramsche, Schüttorf und Nordhorn sowie der Abbau von Erz und Stein, beispielsweise am Piesberg bei Osnabrück und im Sandsteinbruch Gildehaus-Bentheim. Vertreten wurden diese Unternehmen von der Handelskammer Osnabrück, die für den gesamten Regierungs­bezirk verantwortlich war. Nicht nur führte sie die Gespräche mit der preußischen Regierung und erhielt Anweisungen wie die oben zitierte Mitteilung, in Zusammenarbeit mit der Bezirksregie­rung leitete sie auch das wirtschaftliche Geschehen in der Region.

Rund um den Jahreswechsel 1916–1917 begannen in mehre­ren Kommunen des Regierungsbezirks erste Diskussionen um eine Einführung eigener Währungen für den Gebrauch innerhalb der Stadt oder Gemeinde. Herauszuheben sind hier die Städte Melle und Quakenbrück, da beide noch im Laufe des Frühjahrs 1917 Notgeld emittierten Emission vornahmen. Darüber hinaus plante die Handelskammer die Ausgabe von Notgeld in ihrem Verwaltungsbereich. Weitere Städte im Regierungsbezirk, in denen es nach Rücksprache mit der Handelskammer letztlich nicht zu einer Emission kam, sind Papenburg und Lingen. Ob in weiteren Städten Überlegungen geführt oder gar lokale Notgeld-Scheine ausgegeben wurden, ist durch die Akten der Bezirksregierung, die im Niedersächsischen Landesarchiv in Osnabrück liegen, nicht belegt.

Leicht nachvollziehbar ist dagegen, warum Ersatzwertzeichen notwendig wurden: Alle Kommunen betonten, der gewerbliche Zahlungsverkehr könne nicht mehr abgewickelt werden. „Insbesondere fehlen 50, 25, 10 und 5 Pfennigstücke, was sowohl den Zahlungsverkehr zwischen Geschäftsleuten, öf­fentlichen Kassen und Privaten als auch die Lohnauszahlungen der gewerblichen Betriebe in der empfindlichsten Weise beschwert“5, schreibt die Handelskammer an Minister von Sy­dow im April 1917. Ihrer Aussage nach waren die silbernen 50 Pfennig-Stücke mittlerweile so selten geworden, dass selbst die Osnabrücker Bank keine Münzen dieses Nominals mehr in ihren Kassen hatte.6

Die Ausgabe von Notgeld erfolgte damit in der Osnabrücker Region aus denselben Gründen wie im restlichen Kaiserreich. Deutlich zu erkennen ist auch, dass alle drei Kommunen erst auf die Duldung des Handelsministers hin eine Einführung ihres Notgelds diskutierten und schließlich durchführten. Dass der Mangel wirklich nur die kleinsten verfügbaren Nominale betraf, wird schon in den ersten Eingaben der Städte deutlich, denn sie meldeten dezidiert das Fehlen von Pfennigstücken zwischen 5 und 50 Pfennig. Angesichts niedriger Lohn- und Lebenshaltungskosten im Kaiserreich sind diese Stückgeldnominale wohl in erster Linie im alltäglichen Zahlungsverkehr genutzt worden. Zum Vergleich: Der Durchschnittslohn eines ungelernten Arbei­ters oder einer Arbeiterin in Osnabrück lag zwischen 1916 und 1918 bei 60 bis 70 Pfennig pro Tag.7

Drei Emissionen im Regierungsbezirk
Betrachtet man den Ablauf der Notgeld-Emissionen in Melle, Quakenbrück und Osnabrück genauer, fällt auf, wie schnell die beiden Kommunen und die Handelskammer auf die Duldung des Ministers reagierten und eine Ausgabe der Scheine bzw. Münzen in Angriff nahmen. Als erste Instanz wagte sich die Stadt Melle vor und kündigte an, ein „Stadtgeld“ einführen zu wollen. Dabei handelte es sich um Papierscheine zu 5, 10, 25 und 50 Pfennig, von denen jeweils 10.000 Stück in Umlauf gebracht werden sollten.8 Das entsprach einer Summe von 9.000 Mark, die den Mangel an Kleingeldstücken beheben sollte. Damit dies im Alltag auch funktionieren konnte, schloss die Stadt Verträge mit dem Postamt, der Eisenbahnverwaltung und den Sparkassen der Umgebung. Ab Mitte April 1917 akzeptierten diese Stellen das „Stadtgeld“.9

Abb. 6: Mit diesem Vertrag – hier in handschriftlicher Form – regelten die Gemeinde Quakenbrück und die Artländer Bank ihre Notgeld-Emission.

Melle übernahm dadurch eine Vorbildfunktion für andere Kommunen, die ebenfalls die Einführung von Notgeld beabsichtigten. So erhielt der Meller Magistrat Nachfragen aus den Städten Lingen (15. März), Bramsche (10. April) und Diepholz (14. April) nach der Durchführung der „Stadtgeld“-Emission. Am 7. März, nur eine Woche nach Ankündigung des Meller Notgelds, fragte auch die Stadt Quakenbrück nach Erfahrungen mit der Ausgabe des „Stadtgelds“. Offensichtlich wollten sich andere Magistrate erkundigen, wie eine mögliche eigene Emission funktionieren könnte. Wie aus dem Schreiben des Quakenbrücker Magistrats hervorgeht, war gerade die Beschaffung des benötigten Papiers, der Druck und die Haltbarkeit der Scheine von Interesse.10 Die Antwort aus Melle, die eine Woche später in Quakenbrück eintraf, überrascht: Die Stadt riet von Papier­scheinen ab und empfahl Zinkmünzen als Ersatzwährung, auch wenn man selbst Papiergeld nutzte. Warum sich die Stadt gegen die Papierscheine aussprach, obwohl man gerade selbst die Entscheidung zugunsten des Materials getroffen hatte, ist nicht ersichtlich.11

Das Aktenstudium belegt klar, dass Notsituationen wie die­se unter den Kommunen des Kaiserreichs nicht nur zu Spannungen führten, sondern auch Ebenen der Kooperation schufen. Das zeigt sich auch daran, dass die Stadt Quakenbrück den Ein­wand ihrer Kollegen aus Melle zu Herzen nahm und tatsächlich Zinkmünzen als eigenes Notgeld einführte. Allerdings übernahm die Kommune diese Aufgabe nicht selbst, sondern gab sie an die dortige Artländer Bank ab. Festgehalten wurde der Verwaltungsakt in einem Vertrag, der in mehreren Paragraphen den Ablauf des Vorhabens auflistet. Für die Forschung stellt solch ein kompletter Vertrag einen Glücksfall in der ansons­ten eher fragmentierten Dokumentation lokaler Notgeld-Mechanismen dar, da er bis ins Detail festhält, wie eine Emission organisatorisch durchgeführt werden konnte. Die Summe war auf 25.000 Mark festgeschrieben, verteilt auf 20.000 Münzen zu 50 Pfennig, 100.000 Münzen zu 10 Pfennig und 100.000 Münzen zu 5 Pfennig. Die komplette Summe des ausgegebenen Notgelds wurde als Sicherheit bei der Artländer Bank als Buchgeld hinterlegt, die diese Einlage mit 4 Prozent verzinste. Etwaige Gewinne entfielen zur Hälfte an die Kämmereikasse und zur anderen Hälfte an wohltätige Zwecke, alle Verluste sowie die Kosten für Transport und Prägung dagegen trug die Bank.12 Zwar wirken diese Vertragsbedingungen zunächst unattraktiv für ein privat geführtes Bankhaus, allerdings sicherte sich das Unternehmen somit eine Monopolstellung auf die Auszahlung von Kleingeld – ein unschätzbarer Wettbewerbsvorteil in Zeiten des gravierenden Kleingeldmangels.

Fast zeitgleich wurden auch die Pläne der Handelskammer Os­nabrück Realität, eine große Summe Notgeld für den gesamten Regierungsbezirk zu drucken und in Umlauf zu geben. Am 1. Mai 1917 duldete Handelsminister von Sydow eine Summe von 500.000 Mark – eine ausdrückliche Genehmigung war weiterhin ausgeschlossen.13 Aufgeteilt war diese Emission in 600.000 Scheine zu 50 Pfennig, 320.000 Scheine zu 25 Pfennig, 1.000.000 Scheine zu 10 Pfennig und 400.000 Scheine zu 5 Pfennig. Damit sollten insgesamt 2.320.000 Gutscheine zur Verfügung gestellt werden.14 Der Geltungsbereich umfasste nach Aussage dieser Dokumente den Regierungsbezirk Osnabrück. Eine spätere Anweisung konkretisiert dies noch einmal: Ausgegeben wurden die Scheine in den Kreisen Tecklenburg und Diepholz sowie im Regierungsbezirk Osnabrück, allerdings nicht in der Stadt Papenburg, die nicht zum Osnabrücker Handelskammer-Bereich gehörte.15

Verbot oder nicht?
Ende Mai 1917 ergab sich also folgendes Bild: Die Handelskam­mer stand kurz vor der Emission von Notgeld in Höhe einer halben Million Mark, während in Melle bereits seit mehr als einem Monat das „Stadtgeld“ im Umlauf war und die Stadt Quakenbrück Zinkmünzen durch die örtliche Bank beschaffte. In diese Situation platzte die Nachricht der Bezirksregierung (und damit der Handelskammer), dass kommunales Notgeld wieder einzuziehen sei. Da nun eine große Summe des Handelskammer-Geldes zur Verfügung stand, seien die Münzen und Scheine der einzelnen Städte nicht mehr notwendig. In einem Schreiben vom 24. Mai teilt das Regierungspräsidium Osnabrück mit, kommu­nale Emissionen hätten „keine Aussicht auf Genehmigung“ und seien daher „sofort wieder einzuziehen“.16 Die Magistraturen von Melle und Quakenbrück reagierten durchaus ungehalten auf diese Anordnung, die ihre Pläne ohne vorherige Warnung zu durchkreuzen schien.

Während es in Melle vor allem darum ging, die frische Emission vom Frühjahr weiterhin aufrechtzuerhalten, waren die Probleme in Quakenbrück gänzlich anders gelagert: Am 26. Mai, nur zwei Tage nach der schwerwiegenden Verfügung aus Osnabrück, erhielt die Magistratur die Auslieferungspapiere über Zinkmünzen durch die beauftragte Bank. In den folgenden Tagen stritten Stadtverwaltung und Geldhaus über die Sache. Die Quakenbrücker Magistratur wollte die Lieferung stornieren, während die Artländer Bank auf deren Ausführung bestand und sich rechtliche Schritte vorbehielt.17 Mit Blick auf die Vertragsbedingungen ist das Verhalten beider Seiten durchaus nachvollziehbar. Die Bank bestand auf der Einhaltung des Vertrags, weil sie bereits die Kosten für Prägung und Transport der Münzen getragen hatte und sich Vorteile durch die Emission versprach. Die Kommune dagegen musste den Anweisungen der Bezirksregierung Folge leisten und sah sich nun gefangen zwischen den Forderungen aus Osnabrück und der Einhaltung des Vertrags.

Abb. 7: Die Handelskammer meldete mit diesem Dokument ihre Notgeld-Summe an die preußische Regierung.

Neben den Schreiben aus Melle und Quakenbrück erreichte die Bezirksregierung auch ein Brief aus Lingen, der das Verbot kom­munalen Notgelds ebenfalls kritisierte. In den Akten ist dies die erste Korrespondenz beider Stellen, die ein Lingener Notgeld thematisiert. Der Grund dafür, dass in Osnabrück keine Meldungen aus der Stadt im Emsland eingingen, ist im Schreiben angerissen. „Vor Inangriffnahme dieser Angelegenheit haben wir bei anderen Städten Erkundigungen eingezogen und festgestellt, dass nirgendwo irgendeine Genehmigung nachgesucht wurde oder verlangt ist“,18 heißt es. Gleich mehrere Aspekte verdeutlichen dies: Zunächst einmal zeigt der Brief noch einmal, wie sich Kommunen untereinander absprachen und ihre Emissionen koordinierten. Er beweist außerdem, welche Auswirkungen die Haltung der preußischen Regierung hatte, als sie Duldungen und keine Genehmigungen aussprach. In vielen Städten, die mit der Osnabrücker Re­gierung höchstens lose kommuniziert hatten, konnte Notgeld im Mai und Juni 1917 ohne Weiteres verboten werden. Dabei wurde, wie aus den Eingaben der Kommunen zweifelsfrei erkennbar ist, keine Rücksicht auf den derzeitigen Planungsstand und anfal­lende Kosten genommen.

Allerdings hatten die Einwände der Städte durchaus Einfluss auf die Entscheidungen der Bezirksregierung, wie sich im weiteren Verlauf des Sommers herausstellte. Es ist nicht belegt, warum genau die Osnabrücker ihre Haltung änderten, aber am 8. Juli, sieben Tage vor der festgelegten Einziehungsfrist, erhielten Melle und Quakenbrück die Erlaubnis der Be­zirksregierung auf Aufrechterhaltung ihrer Ersatzwährung bis zum 1. April 1918.19

Auslaufen der Emissionen 1918
Im weiteren Verlauf des Jahres 1917 bis in das Frühjahr 1918 waren die drei Emissionen aus Osnabrück, Quakenbrück und Melle damit weiterhin im Umlauf. Ohne Konflikte verlief diese Zeit aber nicht, denn das Staatsministerium in Berlin fand bereits im August 1917 einen neuen Weg, Druck auf die emittierenden Stellen auszuüben. Gefordert wurde, die Summe des umlaufenden Notgelds in Bargeld bei der Reichsbank zu hinterlegen.20 Damit verlangte von Sydow eine große Anstrengung von den Kommunen: Bargeld in Münzform war zu diesem Zeitpunkt knapp und wertvoll – immerhin ja der ursprüngliche Grund der Notgeld-Ausgabe – und konnte nur schwerlich in großen Summen aufgetrieben werden. Nicht aus den Akten zu entnehmen ist, ob die Han­delskammer tatsächlich 500.000 Mark in Edelmetallmünzen zur Reichsbank nach Berlin überwiesen hat.

Sehr wohl belegen die überlieferten Dokumente allerdings, welche Probleme die Anordnung aus Berlin in den beiden Kommunen auslöste. Von August 1917 bis Januar 1918 standen die Quakenbrücker Verwaltungsbeamten in stetem Kontakt mit der Bezirksregierung Osnabrück und versuchten, eine Bargeldeinlage zu verhindern. Dieses Hinauszögern hatte Erfolg, denn zum Jahresbeginn 1918 sah das Handelsministerium von der Praxis ab und verlangte lediglich das Hinterlegen einer adäquaten Buchgeld-Summe bei einer lokalen Bank.21 Nichtsdestotrotz ergibt sich aus dem zuvor getätigten Briefwechsel der Eindruck, dass eine Bargeldsicherheit das Ende einer lokalen Emission bedeutet hätte.

Abb. 8–10: 5, 10 und 50 Pfennig des Artlän­der Notgelds.

Dieser Meinung war auch die Magistratur in Melle, die sich ebenfalls nicht im Stande sah, ihre Notgeldsumme in gleicher Höhe als Bargeld zu hinterlegen. Auf der Suche nach einem Ausweg wandte sich die Stadtverwaltung auch an die Kommunen im Umland und erhielt Hilfe von einer Stadt, die eigentlich kein Wissen in dieser Sache hätte haben dürfen. In Lingen hatte man bereits produzierte Notgeld-Scheine nach dem Verbot im Mai 1917 nämlich nicht zerstört, sondern einer anderen Nutzung zugeführt. „Wir haben kein Notgeld ausgegeben, sondern nur Gutscheine für den amtsgeschäftlichen Verkehr zwischen der Stadtgemeinde und ihren Gläubigern und Schuldnern. Eine Genehmigung hierfür ist nicht eingeholt und halten wir auch für unerforderlich“,22 erklärte der Magistrat in Lingen seinem Amtskollegen in Melle. Damit wurde das Lingener Gutschein-System nicht zu einer Ersatzwährung, da die Scheine nicht als Zahlungsmittel funktionieren und im Wirtschaftsleben nicht genutzt werden konnten. Gleichzeitig aber erlaubte es der Kommune, die bereits produzierten Scheine weiter zu nutzen und zumindest im Zahlungsverkehr mit der Stadt zu verwenden. Wenige Tage später meldete die Stadt Melle der Osnabrücker Bezirksregierung, dass Ähnliches auch hier geplant sei. Das „Stadtgeld“ werde eingezogen und durch Verwaltungs-Schuldscheine ersetzt.23 Gleich mehrere Vorteile schien sich die Stadt dadurch zu versprechen: Da es sich nicht um eine Währung handelte, brauchte man keine Genehmigung oder Duldung, war nicht an den Einzugstermin der Scheine am 1. April 1918 gebunden und musste keine Bargeldsicherheiten hinterlegen. In einer Antwort auf dieses Schreiben betonte die Bezirksregierung allerdings, dass sie auf die Einziehung im April weiterhin bestand.24

Als der Termin näher rückte, kritisierten die betroffenen Kommunen das Vorgehen weiterhin, doch die Stadt Melle hielt sich an die Anordnung – zumindest vordergründig. So meldete man am 30. März, dass das „Stadtgeld“ nun eingezogen werde. Weiterhin plante die Stadt allerdings, die eigenen Scheine als Verwaltungsmarken zu nutzen, wie aus dem Archivbestand klar wird: Im gleichen Dokument, das das Original der Einziehungs-Meldung enthält, ist auch die Bestellung von 20.000 neu gedruckten Scheinen vermerkt. Dieser neue Notgeld-Bestand wurde Osnabrück wohl nicht gemeldet, zumindest findet sich keine Bemerkung in der Meldung aus der Osnabrücker Akte.25 Dass das neue Geld geheim gehalten wurde, ist durch eine spätere Korrespondenz mit der Quakenbrücker Verwaltung belegt, welche sich im August 1918 nach der aktuellen Notgeld-Praxis in Melle erkundigte. Der Meller Magistrat antwortete Mitte September, dass die Stadt sich am Vorbild Lingens orientiert und die neuen Gutscheine nicht gemeldet habe. „Durch die Verfügung des Herrn Regierungs-Präsidenten haben wir das Stadtgeld bereits am 1. April ds. Js. eingezogen. Wir haben allerdings zum gleichen Zeitpunkte mit der Ausgabe von Gut­scheinen innerhalb der städtischen Verwaltung begonnen, was wir dem Herrn Regierungs-Präsidenten nicht angezeigt haben. Wir bitten hiervon gegenüber der Regierung auch keine Notiz zu nehmen, da andernfalls zu befürchten ist, dass uns dadurch weitläufige Schreibereien entstehen.“26 Melle umging damit der eigenen Aussage nach das verhängte Notgeld-Verbot und nutzte seine „Stadtgeld“-Scheine weiter. Deutlich wird auch, dass es der Stadt nicht an der Kooperation mit der Bezirksregierung lag, sie aber durchaus zum Austausch recht sensibler Informationen mit anderen Kommunen bereit war.

Gleichwohl war diese Lösung kein gangbarer Weg für die Stadt Quakenbrück, zumal die Zinkmünzen nicht einfach neu bedruckt und umfunktioniert werden konnten. Zwar zögerten Stadtverwaltung und Artländer Bank die Frist noch einige Mo­nate hinaus, nachdem der oben zitierte Briefwechsel mit Melle aber keine Lösung brachte, wurde das Quakenbrücker Notgeld ab September 1918 durch die Bank wieder eingezogen, wie ein Schreiben vom 24. September der Bezirksregierung mitteilte.27

Großgeld-Emission zum Kriegsende
Eine ganz neue Wendung erhielt die Notgeld-Situation, als sich im Herbst 1918 eine Niederlage des Deutschen Reichs und damit ein Ende des Weltkriegs abzeichnete. Ab Oktober entstand plötzlich ein bis dahin undenkbar hoher Bedarf an Zahlungsmitteln. In Absprache mit dem Reichsbankdirektorium sollte die Osnabrücker Handelskammer in kurzer Zeit Scheine zu 5.500.000 Mark emittieren. Diese Anweisung entwickelte sich allerdings nicht durch eine lokal festzustellende Notlage wie zuvor, sondern kam direkt aus Berlin. Offensichtlich hatte von Sydow seine Zurückhaltung gegenüber regionaler Notgeld-Emissionen aufgegeben und forderte nun eine deutliche Erhöhung der umlaufenden Summe. Im dazugehörigen Schriftverkehr erwähnte die Handelskammer eine Konferenz mit Vertretern der Reichsbank, in der der Grund für den Kurswechsel eindeutig benannt wurde. Man plane den Druck der Scheine, „um der Gefahr einer im Falle des etwa vorübergehend eintretenden Mangels an Staatspapiergeld drohenden Panik vorzubeugen.“28

Offensichtlich fürchtete sich die Reichsregierung davor, dass die öffentliche Ordnung gestört werden könne, sollten am Kriegsende nicht genug Barreserven zur Verfügung stehen. Die Vermutung, dass die neuen Großgeldscheine dies verhindern sollten, legt gerade die Aussage des Zeitzeugen Arnold Keller nahe, der kurz nach dem Krieg mehrere Bücher über das deutsche Notgeld verfasste. Er schreibt, „daß die militärischen Mißerfolge eine tiefgehende Beunruhigung im deutschen Vol­ke schufen, welche in einer maßlosen Bargeldhamsterei ihren Ausdruck fand, so daß die verfügbaren Zahlungsmittel immer knapper wurden, ohne daß die Reichsbank mit Hilfe der Reichsdruckerei diesem Übelstande […] hätte abhelfen können.“29

Leider ist die Dokumentenlage für die Monate nach der Revolution im November sehr fragmentiert und lässt keinen endgültigen Schluss darauf zu, wie viele Scheine im Regierungsbezirk zu welchem Zeitpunkt ausgegeben wurden. Als der Handelsminister kurz nach Neujahr 1919 eine Aufstellung über die aktuell umlaufenden Notgeld-Summen verlangte, gaben die Osnabrücker an, zu diesem Zeitpunkt 10.000.000 Mark in 10-Mark-Scheinen sowie 1.000.000 Mark in Pfennigbeträgen gedruckt zu haben.30 Ein Großteil dieser Scheine wird auch in den Werken von Arnold Keller31, Albert Schramm32 und Kai Lindmann33 in dieser Größenordnung belegt. Allerdings geht aus einer Aufstellung über die tatsächlich emittierten Scheine, die die Bezirksregierung im März 1919 nach Berlin schickte, hervor, dass aus dem Kontingent der 10-Mark-Scheine nur 4.831.500 Mark in den Verkehr gebracht wurden und damit mehr als 5 Millionen Mark in einer Osnabrücker Bank verblieben.34

Besonders lang waren diese Scheine jedoch nicht im Um­lauf. Bereits im April 1919 wurden alle Notgeld-Scheine ab dem Nominal von 1 Mark aufwärts wieder eingezogen.35

Katalog
Unübersehbar ist, dass zwischen den einzelnen Notgeld-Emissionen deutliche Unterschiede bestehen. Befasst man sich eingehend mit der Thematik, sollte daher bewusst darauf geachtet werden, den Entstehungsprozess und die Gültigkeit der Ersatzwährungen detailliert nachzuvollziehen. So zeigt sich, dass allein im Umfang dieser zeitlich und örtlich limitierten Untersuchung drei verschiedene Typen des Notgelds auftreten: die Emissionen überkommunaler Instanzen (Typ 1), das kommunale Notgeld (Typ 2) und Wertzeichen für die Abwicklung von Zahlungsprozessen mit Behörden (Typ 3).

Typ 1 wurde von der höchsten Instanz im Regierungsbezirk für eine gesamte Region in hoher Stückzahl produziert. Dies geschah in enger Absprache mit oder sogar auf Anweisung der preußischen Regierung. Hierunter fallen beide Emissionen der Handelskammer Osnabrück. Typ 2 entstand im Aushandlungsprozess der Kommunen mit der übergeordneten Regierung und als Produkt des Wissenstransfers der Städte untereinander. Dabei beschränkte sich der Geltungsbereich meist auf die Kommune oder den Landkreis und war von der Akzeptanz der dortigen Banken abhängig, wie die Beispiele Melle und Quakenbrück zeigen. Unter Typ 3 sind Wertzeichen zusammengefasst, die für den alltäglichen Zahlungsverkehr nicht geeignet waren und nur einen sehr eingeschränkten Geltungsbereich aufwiesen. Von einer Ersatzwährung kann hier nicht mehr ge­sprochen werden. Die Situationen in Lingen und Melle ab 1918 lassen erahnen, dass diese Emissionen kaum oder gar nicht mit der Bezirksregierung koordiniert wurden. Auch die Marken der Osnabrücker Straßenbahn fallen in diese Gruppe. Je größer der Geltungsbereich also war, desto mehr staatliche Kontrolle fand statt. Betont werden sollte auch, dass das kommunale Notgeld, das gern als Zeichen der währungspolitischen Eigenständigkeit einer Stadt oder Gemeinde gedeutet wurde, nicht länger als ein gutes Jahr Bestand hatte und damit zumindest im Osnabrücker Raum der kurzlebigste der drei Typen war.

Abb. 11–14: Das Stadtgeld in Melle erschien zuerst im Regierungsbezirk.

Notgeld-Menge 1917–1918
Beim Blick auf die ausgegebenen Geldmengen wird schnell ersichtlich, dass es sich jeweils um durchweg verschiedene Größenordnungen handelt. So liegen die beiden kommunalen Emissionen im Frühjahr 1917 (Typ 2) im niedrigen fünfstelligen Bereich, während die erste Osnabrücker Notgeld-Summe eine halbe Million Mark erreichte (Typ 1). Für eine genauere Ermittlung ist ein weiterer Blick in die Akten hilfreich: Für die Erforschung der Notgeldproduktion im Regierungsbezirk ist es sehr zuträglich, dass Handelsminister von Sydow im Juni 1917 um eine Bestandsaufnahme der bis zum 15. Juni ausgegebe­nen Scheine bat. Melle gab an, 9.850 Mark des „Stadtgelds“ in Umlauf gebracht zu haben.36 Quakenbrück meldet, dass die geplanten 25.000 Mark auch tatsächlich emittiert wurden.37 Die Menge der Handelskammer von 500.000 Mark ist durch die Kataloge der oben genannten Numismatiker bestätigt.38 Nicht in die Aufstellung mit einbezogen werden Notgeld-Emissionen, deren Scheine nicht in den allgemeinen Zahlungsverkehr gelangten und nur für Sonderzwecke genutzt werden konnten. So gab es in der Zeit neben den Lingener Gutscheinen auch noch Kleingeldersatzmarken im Heseper Torfwerk in Meppen und verschiedene Wertmarken für die Straßenbahn Osnabrück.39

Zusammengerechnet wurden also 534.850 Mark Notgeld während der ersten Phase im Regierungsbezirk emittiert, aufgeteilt auf 2.583.800 Wertzeichen. Aufgeschlüsselt auf die Nominale ergibt sich folgendes Bild:

511.000 Scheine und Münzen zu 5 Pfennig: 25.550 Mark
1.111.000 Scheine und Münzen zu 10 Pfennig: 111.100 Mark
330.800 Scheine zu 25 Pfennig: 82.700 Mark
631.000 Scheine und Münzen zu 50 Pfennig: 315.500 Mark

Zu beachten ist dabei, dass sich diese Mengen auf eine Gesamtbevölkerung von rund 375.000 Einwohnern im Regierungsbezirk Osnabrück verteilten. Statistisch gesehen müsste damit jeder Einwohner circa 1 Mark und 43 Pfennig in Nominalen unter einer Mark (534.850 Mark auf 375.000 Menschen) und sechs bis sieben Notgeld-Scheine oder -Münzen (2.583.800 Stück auf 375.000 Menschen) zwischen 5 und 50 Pfennig besessen haben. Zum Vergleich: Jeder Reichsbürger besaß im Jahr 1913 durchschnittlich 3 Mark und 40,5 Pfennig in Nominalen unter einer Mark.40 Somit lässt sich ausschließen, dass das Notgeld Edelmetall-Münzen vollständig ersetzt haben kann. Allerdings kann angenommen werden, dass das Geld eine beträchtliche Rolle im Zahlungsverkehr und damit im Kriegsalltag gespielt hat.

Notgeld-Menge 1918–1919
Ein anderes Bild ergibt sich im Blick auf die spätere Emission, die die Handelskammer zum Ende des Kriegs vornahm. Zum einen verdoppelte sich hier die Geldmenge bei den Pfennig-Nominalen, zum anderen birgt die Masse der 10-Mark-Scheine eine ganz neue Dimension. Zunächst zu den Pfennigen: Im Herbst 1918 waren zweimal mehr Handelskammer-Scheine als 1917 im Umlauf, nämlich in Höhe von 1.000.000 Mark. Das Notgeld aus Melle und Quakenbrück dagegen war bis September 1918 aus dem Verkehr gezogen worden. Gerechnet auf alle Bürger des Regierungsbezirks stand damit eine Summe von 2 Mark und 67 Pfennig pro Kopf zur Verfügung (1.000.000 Mark auf 375.000 Menschen).

Ganz anders als bei den Pfennigen ist dagegen die Emission der 10-Mark-Scheine zu werten, die im vierten Quartal 1918 druckfrisch im Regierungsbezirk ausgegeben wurden. Sie sind schon allein deshalb statistisch gesondert zu betrachten, weil sie das bisherige Kleingeld-Konzept der Ersatzwährungen vollkommen außer Kraft setzten. Nicht nur sprengte die Menge von knapp fünf Millionen Mark Notgeld den bisherigen Rahmen, auch die Pro-Person-Summe stieg in ungekannte Höhen. Pro Kopf wurden 1,29 Scheine ausgegeben, damit besaß jeder Bürger im Durchschnitt 15,57 Mark Notgeld (12,9 Mark plus 2,67 Mark Kleingeld).

Die gestiegene Notgeld-Menge fiel geldgeschichtlich in eine Zeit der massenhaften Papiergeld-Produktion in Deutschland, wodurch man die Osnabrücker Emissionen besser einordnen kann. Weder war die Stadt ein Einzelfall, noch war Notgeld der einzige Aspekt dieser Entwicklung. Stattdessen war es nur ein Faktor in der anschwellenden Papiergeld-Menge, die zum Ende des Weltkriegs im Kaiserreich im Umlauf war. 1913 bestand die Stückgeldmenge im Deutschen Reich zu 3,7 Milliarden Mark aus Münzen und zu 2,8 Milliarden Mark aus Banknoten. Im Verlauf des Kriegs nahm das offizielle Papiergeld aber Überhand: 1917 zählte die Reichsbank schon 18,4 Milliarden Mark in Scheinen und nur noch 0,2 Milliarden Mark in Münzen, 1918 waren es sogar 33 Milliarden Mark Papiergeld bei etwas niedrigerem Münzgeldbestand.41 Rechnet man das nicht-offizielle Notgeld noch hinzu, das laut Herbert Rittmann zwischen 300 und 400 Millionen Mark ausgemacht haben dürfte42, wird das Verhältnis zwischen Papier und Edelmetall sogar noch weiter verschoben.

Fazit
Die Kleingeld-Emissionen 1917 müssen als Hochphase des kommunalen Notgelds im Weltkrieg gesehen werden, weil sich hier gleich mehrere Typen verschiedener Ersatzwährungen etablieren konnten. Nur in dieser Zeit gab es während des Krieges „echtes“ städtisches Notgeld im Regierungsbezirk Osnabrück, das für den regulären Zahlungsverkehr genutzt werden konnte und Ausdruck kommunaler Eigenständigkeit war. Die beiden anderen identifizierten Typen müssen entweder als halbstaatliches Geld überkommunaler Instanzen oder als im Geltungsbereich höchst beschränkte Wertmarken gesehen werden.

An dieser Stelle wird spätestens ersichtlich, dass Notgeld nicht gleich Notgeld ist. Zwar unterscheiden sich alle Emissionen in gewisser Weise, doch die Unterscheidung der drei Typen erlaubt einen Überblick über die verschiedenen Arten der Emissionen und ihre Bedeutung für lokale und regionale Prozesse. Grundsätzlich lässt sich die Faustregel festhalten, dass Emissionen mit größerem Ziel- und Geltungsbereich auch ein höheres Maß an staatlicher Kontrolle und Absprache beinhalteten, während die kleineren, lokaleren Ersatzwährungen auch autonom und ohne obrigkeitliche Führung funktionierten. Der Grad der staatlichen Überwachung lässt sich also linear am Geltungsbereich festmachen. Die Annahme, dass Notgeld der numismatische Ausdruck der Städte nach Autonomie ist, wird dadurch untergraben: Je bedeutender die Ausgabe, desto we­niger kommunale Selbstbestimmung steckt in ihr.

Umfassender angelegte Studien, die größere Zeiträume und Regionen betrachten, könnten diese Erkenntnisse erweitern oder herausfordern. Leider fehlt es hier auf allen Ebenen an Literatur. Gerade wirtschaftshistorische Darstellungen, die sich den Scheinen und Münzen nicht nur deskriptiv nähern, könnten neue Einblicke in die deutsche Geldpolitik während des Ersten Weltkriegs ermöglichen. Eine reine Katalogisierung der ausgegebenen Emissionen ist dagegen nicht genug, da sie keine belastbaren Rückschlüsse auf die historische Realität zulässt.

In Bezug auf das Notgeld als Ausdruck kommunaler Eigenständigkeit muss auch noch weiter erforscht werden, wie sich diese Prozesse in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg in den Jahren 1919 bis 1923 entwickelte. Viele der bekannten Notgeld-Scheine, die teils mit künstlerisch anspruchsvollen Motiven versehen wurden, erschienen erst in dieser Zeit – oftmals als Serienscheine, Sammler ansprechen sollten. Hier verbergen sich sicherlich noch weitere Geheimnisse, die auf eine detaillierte Aufarbeitung warten.

Quellen und Literatur

  • Akte Osnabrück: „Herstellung und Verwendung von Ersatzwertzeichen als Notgeld“, NLA OS, Rep 430 Dez 301, Akz. 12/43 Nr. 24, Laufzeit: 1916–1922.
  • Akte Melle: „Einführung von Notgeld“, NLA OS, Dep 73 b, Nr. 969, Laufzeit: 1915–1923.
  • Akte Quakenbrück: „Ausgabe von Notgeld durch die Stadt Quakenbrück“, NLA OS, Dep 50 b, Akz. 2011/072 Nr. 331, Laufzeit: 1917–1924.
  • Keller 1920: Arnold Keller, Großgeldscheine 1918/1919. Berlin 1920.
  • Lindmann 1993: Kai Lindmann, Bezirk Weser-Ems, Band 6 aus: Das Notgeld von Niedersachsen: Katalog des geprägten und gedruckten Notgeldes von Niedersachsen und verwandter und ähnlicher Ausgaben. Sassenburg 1993.
  • Rittmann 1986: Herbert Rittmann, Deutsche Geldgeschichte seit 1914. München 1986.
  • Schramm 1920: Albert Schramm, Großgeldscheine 1918/19 und Ergänzungen, Leipzig 1920. Band 2 in: Deutsches Notgeld, Leipzig 1918–1920.
  • Spilker 2006: Rolf Spilker, Von der Industrialisierung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, in: Gerd Steinwascher (Hg.), Geschichte der Stadt Osnabrück. Belm 2006, S. 445–640.
  • Sprenger 2002: Das Geld der Deutschen: Geldgeschichte Deutschlands von den Anfängen bis zur Gegenwart. Paderborn 2002, 3. Auflage.
  • Deutsches Reich 1918: Volkswirtschaftliche Abteilung des Kriegsernährungsamts des Deutschen Reichs, Hauptergebnisse der Volkszählung im Deutschen Reich am 5. Dezember 1917. Berlin 1918.

Abbildungsnachweis
Abb. 1–9, 1–14: Niedersächsisches Landesarchiv – Abteilung Osnabrück. Rep 430 Dez 301, Akz. 12/43 Nr. 24; Fotografin: Anna Philine Schöpper 2020.
Abb. 10: Niedersächsisches Landesarchiv – Abteilung Osnabrück. Dep 50 b, Akz. 2011/072 Nr. 331; Fotografin: Anna Philine Schöpper 2020.

Anmerkungen

1 Rittmann 1986, S. 28ff.

2 Akte Osnabrück. Schreiben des Handelsministeriums vom 15.12.1916.

3 Ebd.

4 Deutsches Reich 1918, S. 20. Ermittelt wurde die ‘ortsanwesende Bevölkerung’.

5 Akte Osnabrück. Schreiben der Handelskammer vom 27.4.1917.

6 Ebd.

7 Spilker 2006, S. 614.

8 Akte Melle und Akte Osnabrück. Schreiben von Melle an Osnabrück vom 27.2.1917.

9 Akte Melle. Schreiben von Melle an Bramsche und Diepholz vom 17.4.1917. Schreiben der Sparkassen in Wellingholzhausen (14.4), Melle (14.4.), Oldendorf (17.4.) und Gesmold (21.4.).

10 Ebd. Schreiben von Quakenbrück an Melle vom 7. 3. 1917.

11 Ebd. Schreiben von Melle an Quakenbrück.

12 Akte Quakenbrück. Vertrag zwischen Quakenbrück und der Artlän­der Bank vom 7.5.1917.

13 Akte Osnabrück. Schreiben des Handelsministeriums vom 2.5.

14 Akte Osnabrück. Schreiben der Handelskammer vom 19.4.1917.

15 Akte Osnabrück. Schreiben aus Osnabrück an Kommunen vom 7.6.1917.

16 Akte Melle und Akte Quakenbrück. Schreiben von Osnabrück an Melle und Quakenbrück vom 24.5.1917.

17 Ebd.

18 Akte Osnabrück. Schreiben von Lingen an Osnabrück vom 26.5.1917.

19 Akte Melle. Schreiben von Osnabrück an beide Städte vom 8.7.1917.

20 Akte Osnabrück. Schreiben von Osnabrück an beide Städte vom 20.8.1917.

21 Akte Osnabrück. Schreiben des Handelsministeriums an Osnabrück vom 19.1.1918.

22 Akte Melle. Schreiben von Melle an Lingen vom 2.11.1917.

23 Akte Melle. Schreiben von Melle an Osnabrück vom 10.11.1917.

24 Ebd. Schreiben von Osnabrück an Melle vom 14.12.1917.

25 Akte Melle. Schreiben von Melle an Osnabrück vom 30.3.1918.

26 Akte Quakenbrück und Akte Melle. Schreiben von Melle an Quakenbrück vom 18.9.1918.

27 Akte Osnabrück. Schreiben von Quakenbrück an Osnabrück vom 24.9.1918.

28 Akte Osnabrück. Schreiben der Handelskammer vom 8.10.1918.

29 Keller 1920, S. 3.

30 Akte Osnabrück. Schreiben der Magistratur Osnabrück, „Übersicht über die seit dem 15. Juni 1918 als Notgeld ausgegebenen Ersatzwertzeichen“ vom 11.2.1919.

31 Keller 1920, S. 52.

32 Schramm 1920, S. 180.

33 Lindman 1993, S. 34.

34 Akte Osnabrück. Schreiben der Handelskammer an den Regierungs­präsidenten vom 20.3.1919.

35 Akte Osnabrück. Schreiben des Handelsministeriums an Osnabrück vom 22.1.1919.

36 Ebd. Schreiben der Magistratur Osnabrück, Übersicht des in Melle ausgegebenen Notgelds vom 27.6.1917.

37 Ebd. Schreiben der Magistratur Osnabrück, Übersicht des in Quakenbrück ausgegebenen Notgelds vom 10.7.1917.

38 Schramm 1920, S. 59, und Lindman 1993, S. 34ff.

39 Schramm 1920, S. 59.

40 Sprenger 2002, S. 194.

41 Ebd, S. 199.

42 Rittmann 19866, S. 28ff.

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