Simone Vogt

DAS NIEDERSACHSENROSS IM LANDESWAPPEN

Abb. 1: Das offizielle Wappen des Landes Niedersachsen (Foto: Wikipedia).

Was ist typisch für Niedersachsen? Diese Frage haben sich dieses Jahr viele Menschen gestellt, als im Juni der „Tag der Niedersachsen“ veranstaltet wurde. Weil man zugleich das 75-jährige Jubiläum des Landes (aus Pandemiegründen nach-)feiern wollte, fand vom 10. bis 12. Juni 2022 ein großes Fest in der Landeshauptstadt statt. Auf die genannte Frage dürften den meisten die Nordseeküste, der Harz, die VW-Werke und vieles mehr einfallen. Sport- und Tierfreunde denken an Pferde und die vielen Pferdesportzentren und Reitveranstaltungen in Niedersachsen. Nach der heutigen Landeshauptstadt sind die Hannoveraner benannt, eine weltbekannte Zuchtpferderasse, einst gezüchtet für die Landwirtschaft und heute ein typisches Sportpferd. Dass ein springendes Pferd im Landeswappen erscheint, führt man gerne auf diese Pferdetradition zurück. Doch damit liegt man falsch: Tatsächlich liegen die Ursprünge für das Landeswappen weiter zurück als die Zuchttradition. Auch Münzen und Medaillen spielten im Laufe der Geschichte eine Rolle bei der Etablierung des Landessymbols.1 Eine Vitrine im Museum August Kestner mit aufschlussreichen Objekten konnte den Festbesucher*innen hierüber Aufschluss geben; die Münzen und Medaillen werden an dieser Stelle erneut vorgestellt.

Abb. 2: Brakteat, Heinrich der Löwe, Braunschweig, 1142-1195 MAK, Inv.-Nr. 1968.1 (Foto: C. Tepper).

Die Regionen Niedersachsens gehörten in Mittelalter und früher Neuzeit größtenteils zum Territorium des Adelsgeschlechts der Welfen, so dass die Herkunft des heutigen Landeswappens zunächst bei den Wappen der Welfen zu suchen ist. Heinrich der Löwe (1129-1195) ist der erste herausragende Welfe, der historisch in Erscheinung getreten ist. Er wählte eben einen Löwen als Symbol und ließ diesen auch auf zahlreiche Münzen prägen (Abb. 2). Das Raubtier war lange Zeit das wichtigste und dauerhafteste Wappentier der Welfen, wie auch unten beschrieben wird (Abb. 3).

Abb. 3: Wappen der Herzöge zu Braunschweig-Lüneburg am Alten Rathaus in Hannover, um 1450 (Foto: R. Gottschalk).

Erst 1361 erscheint ein Pferd erstmals in einem Siegel des Herzogs Albrecht von Braunschweig-Grubenhagen (1339-1383).2 Bald darauf wird es im Oberwappen verwendet, also in der Helmzier des Wappens der braunschweigischen Herzöge. Das um 1450 entstandene Wappen am Alten Rathaus in Hannover ist ein gutes Beispiel (Abb. 3). Der vierteilige Wappenschild steht für die vier Territorien, also Braunschweig (Zwei goldene Löwen im roten Feld.), Lüneburg (Blauer Löwe im goldenen Feld) Everstein (Silberner Löwe in blauem Feld) und Homburg (goldener Löwe auf rotem Grund, silbern gerahmt). Über dem gekrönten Helm springt ein Ross vor einer roten Säule mit Pfauenwedel nach links.

Die gleiche Darstellung kennen wir im numismatischen Bereich zum Beispiel von der Rückseite des fünffachen Schautalers von Herzog Julius (1528-1589): Ein vierfeldiges, behelmtes Wappen mit den Löwen trägt darüber als Helmzier das springende Ross (Abb. 4).

Abb. 4: Fünffacher Schautaler, Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel, Goslar, 1578, Rückseite, Detail. Es handelt sich um die 22. Jahrhundertmünze im Heft NNB 11/2021 Seite 438. MAK, Inv.-Nr. 1930.323.13 (Foto: C. Rose).
Abb. 5: Fahne von „Nider Sachssen“ mit dem springenden Ross. Aus: Jacob Köbel, Die Wappen des Heiligen Römischen Reiches Teutscher Nation, Frankfurt 1545, Historisches Museum Hannover (HMH).

Alle hier abgebildeten Münzen und Medaillen findet man übrigens ausführlich beschrieben und beidseitig abgebildet im Online-Katalog des Museum August Kestner bei Museum Digital .

Aber warum wählten die Welfen zusätzlich das Pferd, obwohl der Löwe so sehr etabliert war? Es wird vermutet, dass das Tier auf den legendären Widukind (für die Jahre 777-785 in Quellen belegt) und die sächsischen Stammlande verweisen sollte. Laut Chronisten des 15. Jahrhunderts führte Widukind als Herzog der Sachsen ein Pferd im Schild.3 Und die Welfen sahen sich programmatisch als Nachfahren der frühmittelalterlichen Sachsen und Widerständler gegen Karl den Großen. Dies strich man mit Hilfe des neuen Wappenelementes gerne heraus. Dass die Welfen mit dieser Bildaussage überzeugten, belegen viele Wappenbücher des 16. Jahrhunderts, die das Ross als niedersächsisches Wappen anführen (Abb. 5).

Seit dieser Zeit ist die weite Verbreitung des Rosses als Symbol für die welfischen Lande in der Bildkunst zu beobachten. Spätestens seit dem Ende des 16. Jahrhunderts erscheint das Pferd innerhalb des Wappenschildes und nicht mehr als Helmzier.

Auf kunsthandwerklichen Produkten, also auf Gebrauchsgegenständen wie Krügen oder Geschirr sowie auf Münzen und Medaillen, ist das weiße oder silberne springende Pferd seit dem 17. Jahrhundert schließlich überall zu finden. Dabei wurde es immer als Symbol der welfischen Fürstentümer und ihres Territoriums verstanden.

Abb. 6: Fünffacher Schautaler, Herzog Johann Friedrich von Braunschweig Lüneburg, Clausthal, 1670, Rückseite, MAK, Inv.-Nr. 1930.263 (Foto: D. Jürges).

Auf den auch als Löser bekannten Schautalern Herzog Christian Ludwigs (1622-1655), später auch Herzog Johann Friedrichs (1625-1679) von Braunschweig-Lüneburg, springt das Ross über die wunderbar detailreich dargestellten Silberbergwerke im Harz (Abb. 6). Hier ist das Tier wohl schutzbringend gemeint. Ihm widerfährt göttliche Gnade, verkörpert in der bekränzenden Hand, die aus den Wolken kommt.

Abb. 7: Medaille auf Kurfürst Georg Ludwig von Braunschweig-Lüneburg, 1700, Medailleur: Raimund Faltz, MAK, Inv.-Nr. P 11905.670.51 (Foto: MAK).
Abb. 8: Medaille auf die Thronbesteigung König Georgs I. von Großbritannien, 1714, HMH, Inv.-Nr. VM 012204 (Foto: U. Pucknat).

Eine Medaille Kurfürst Georg Ludwigs von Braunschweig-Lüneburg bildet das Pferd über einer unwegsamen Felsenlandschaft ab und verkörpert so die fürstliche Devise „NEC ASPERA TERRENT“, also „Auch Widrigkeiten schrecken nicht“ (Abb. 7). Hier liest man das Pferd als persönliches Symbol des Kurfürsten. Ganz ähnlich ist die folgende Medaille zu verstehen. Im Zuge des „Act of Settlement“, der 1701 die britische Thronfolge neu regelte, wurde Georg Ludwig 1714 in Personalunion König Georg I. von Großbritannien. Ein unbekannter Medailleur schuf eine sehr treffende emblematische Darstellung aus diesem Anlass: Nordwesteuropa ist als Kartenansicht wiedergegeben und das Sachsenross springt aus Norddeutschland darüber hinweg in Richtung britischer Insel (Abb. 8).

Abb. 9: Wappen des Hauses Hannover als britische Königsdynastie (Foto: Wikipedia).

Die große Veränderung an der Spitze der britischen Monarchie schlug sich auch im Wappen nieder, indem das Sachsenross hinzugefügt wurde. Es wurde als weiteres Feld unter die beiden Leoparden und den steigenden Löwen gesetzt. Der aufgelegte Schild mit der deutschen Kaiserkrone verweist darauf, dass Georg I. auch Kurfürst und Erzschatzmeister des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war (Abb. 9).

Ab 1814 repräsentierte das Sachsenross das Königreich Hannover. Nach dessen Annexion durch Preußen behauptete sich das springende Pferd im roten Feld als Wappen der preußischen Provinz Hannover (1866-1945). Schließlich wählte man das allseits bekannte niedersächsische Symbol bei Gründung des Landes Niedersachsen als Landeswappen und schrieb dies in der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung von 1951 fest. Heute gilt das Niedersächsische Wappengesetz (NWappG) vom 8. März 2007. Es besagt: „Das Land führt als Landeswappen einen Halbrundschild mit einem springenden weißen Ross (Wappentier) im roten Feld…“ .

Anmerkungen

1 Eine Herleitung des niedersächsischen Wappens findet sich in dem Artikel von W. R. Röhrbein, Wie kam das Pferd ins Landeswappen?, in: Pferde. Niedersachsens Stärke. Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung im Historischen Museum Hannover 2006. Schriften des Historischen Museums 25, Hannover 2006, S. 71 bis 93. Außerdem empfehlen sich die Erläuterungen auf der offiziellen Webseite des Landes Niedersachsen (letzter Zugriff 20.05.2022) .

2 Hier abgebildet (letzter Zugriff 10.05.2022) .

3 Röhrbein a. a. O. S. 76.

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