Ulrich Werz

KLEINGELDVERSORGUNG IN RÖMISCHEN MILITÄRLAGERN – ZU DEN KLEINERZEN AUS WILKENBURG

(FAN-Post 2018, S. 14-16)

Aus dem römischen Marschlager von Wilkenburg FStNr. 81, Gde. Hemmingen Stadt, welches vor den Toren von Hannover liegt, stammen bislang 55 Münzen (Stand Juni 2017). Unter den Fundmünzen dieses Ortes sind 20 kleine Bronzemünzen, deren Funktion und Zeitstellung in dem nachfolgenden Beitrag kurz behandelt werden soll.2 Aufgrund des Münzbildes, welches auf der Vorderseite vier in der Mitte verbundene Pferdeprotomen und auf der Rückseite ein Pferd aufweist, werden diese Prägungen zunächst in drei Haupttypen eingeteilt (Abb. 1,1-3).3

  • Typ 1: Vs. Vier im Zentrum miteinander verbundene Pferdeprotomen, dazwischen Kringel; Rs. Pferd (mit Schilden?) nach links, Legende AVAVCIA, AVAC etc. (Abb. 1,1).
  • Typ 2: Vs. Vier im Zentrum miteinander verbundene Pferdeprotomen, dazwischen Kringel; Rs. Pferd (mit Schilden?) nach links; keine Legende (Abb. 1,2).
  • Typ 3: Vs. Vier im Zentrum miteinander verbundene Pferdeprotomen, dazwischen Kringel; Rs. Pferd (mit Schild?) nach rechts; keine Legende (Abb. 1,3).
Abb.: 1,1-3: Aduatuker-Kleinbronzen.

All diese Stücke wiegen knapp 3 Gramm und werden als „Aduatuker-Kleinerze‟ bezeichnet. Die Zuweisung an den keltischen Stamm der Aduatuker, die ihr Siedlungsgebiet im Bereich des heutigen Belgien hatten, stammt aus der Feder des französischen Numismatikers Félicien de Saulcy, der diese Prägungen aufgrund der Legende AVAVCIA mit den Aduatukern gleich setzte.4 Auch wenn diese Zuweisung überholt ist, wird diese Bezeichnung heute noch beibehalten. Das Münzbild mit der Darstellung von Pferden weist eindeutig in den keltischen Kulturkreis. Handelt es sich bei diesen in Wilkenburg gefundenen Münzen also um keltische Prägungen, die inhaltlich und zeitlich von den römischen Funden zu trennen sind?

Durch die anhaltenden Bürgerkriege nach dem Tode Caesars wurden von den verschiedenen Feldherren, welche um die Vorherrschaft kämpften, fast ausschließlich Münzen in Edelmetall ausgeprägt, um die eigenen Soldaten zu bezahlen oder fremde Truppen anzuwerben. So gab es einen erheblichen Mangel an Kleingeld in Bronze für den alltäglichen Geldverkehr. Um diesen Mangel zu beheben, wurde fremdes Geld importiert oder nachgeahmt, wie etwa die Münzfunde aus Pompeij zeigen.5 Daher begann Augustus in den zwanziger Jahren des ersten vorchristlichen Jahrhunderts, das römische Nominalsystem zu reorganisieren. Er stellte Gold und Silber in ein festes Werteverhältnis von 1: 25 und begann um das Jahr 23 v. Chr. oder wenig später mit der erneuten Ausprägung von Bronzegeld. Geschlagen wurden zunächst Sesterze, Dupondien und Asse. Ein Sesterz entsprach zwei Dupondien, ein Dupondius galt vier Asse. Erst im letzten Jahrzehnt v. Chr. wurde die kleinste Werteinheit, der Quadrans, geprägt. Er wog rund 3 Gramm und entsprach einem Viertel eines Asses. Seinen Abschluss fand das augusteische Nominalsystem erst im Jahre 9 n. Chr. mit der Einführung von Semisses (Halbstücken), die den Wert eines halben Asses hatten. Die Einführung der verschiedenen Wertstufen erfolgte also nicht auf einen Schlag, sondern war das Ergebnis eines längeren Prozesses.

Abb. 2: Anteil Aduatuker-Kleinerze an verschiedenen Fundorten.

In den frühkaiserzeitlichen Münzfunden, hier sind besonders die militärischen Plätze, etwa Oberaden, Anreppen und Kalkriese6 zu nennen, begegnen immer wieder Kleinerze, die, wie in Wilkenburg, als „Aduatuci‟ angesprochen werden. Aufgrund der zeitlichen Einordnung dieser Fundorte, kann das Auf­treten dieser Aduatuker-Münzen im Geldumlauf zeitlich näher eingegrenzt werden (Abb. 2). In Oberaden, welches aufgrund naturwissenschaftlicher Datierungen und historischer Überlegungen der Zeit zwischen 12 und 7 v. Chr. zuzuweisen ist, und in Kalkriese, dem Ort der Varusschlacht, der 9 n. Chr. datiert, sind diese Kleinerze nur in geringen Anteilen vorhanden. Demgegenüber ist ihr Anteil in Anreppen, welches wahrscheinlich in die Zeit um 4/5 n. Chr. gesetzt werden kann, sehr hoch. Da alle drei Orte im Zusammenhang mit den frühkaiserzeitlichen Feldzügen stehen, sind die unterschiedlich hohen Anteile dieser Münzen im Fundgut als chronologisches und nicht als geographisches Indiz zu werten. So kann gefolgert werden, dass die „Aduatuci‟ in den Jahren von etwa 10 v. Chr. bis 10 n. Chr. fester Bestandteil des Geldumlaufs im mittleren und nordwestlichen Rheingebiet waren.

Abb.: 3 Fundorte mit Anteilen verschiedener Kleinerze.

Neben den Aduatuker-­Kleinerzen gab es noch weitere in Gewicht und Größe vergleichbare Münztypen. Zu nennen sind hier die stadtrömischen Münzmeisterquadranten (Abb. 4,1)7 und zwei Münztypen, welche der Prägestätte Lugdunum (Lyon) entstammen (Abb. 4,2 und 4,3)8 sowie eine Prägung mit der Legende GERMANVS INDVTILI L, welche wohl in Trier hergestellt wurde (Abb. 4,4).9 All diese Kleinerze gehören in das letzte Viertel des ersten vorchristlichen Jahrhunderts. Werden diese Stücke kartiert und ihr Verbreitungsgebiet mit dem der Aduatuci verglichen, so zeigen sich geographische Unterschiede (Abb. 3). Die in der Stadt Rom geschlagenen Münzmeister (Blau) zirkulierten in Italien und den angrenzenden östlichen Gebieten. Die Lyoner Stücke (Gelb) und die GERMANVS INDVTILI L­-Prägungen (Grau) liefen in erster Linie in Gallien um. Demgegenüber lag das Verbreitungsgebiet der Aduatuci im mittleren und nördlichen Rheingebiet (Orange).

Abb. 4:
1 Stadtrömische Münzmeisterquadranten; 2 und 3 Lugdunum Kleinerze; 4 Treveri GERMANVS INDVTILI.

Da jeder dieser Münztypen ein unterschiedliches Umlaufgebiet hat, war die Kleingeldversorgung also nicht zentral gesteuert, sondern offenbar regional geregelt. Es ist davon auszugehen, dass die Prägung, hierzu gehört die Bereitstellung von Münzmetall, die Sorge um die Herstellung der Münzstempel sowie die Betreuung des eigentlichen Prägevorgangs, in den Händen Einheimischer lag. Ihnen wurden wohl von römischer Seite lediglich Vorgaben bezüglich Gewicht und Größe der zu schlagenden Münzen gemacht. Durch diesen regional begrenzten Umlauf wird auch die Motivauswahl auf diesen „Aduatuci‟ verständlich. Genommen wurde, was bekannt war. Es handelt sich also bei den sogenannten Aduatuker-­Kleinerzen, um keltischen Einflüssen unterlegene Prägungen unter römischer Oberherrschaft, die dem römischem Nominalsystem angepasst waren. Sie deckten die unterste Stufe des Kleingeldbedarfs und waren gegen Ende des ersten vorchristlichen Jahrhunderts bis gegen Ende der augusteischen Herrschaft fester Bestandteil des römischen Nominalsystems. Mit der lokalen Herstellung wurde ein langwieriger und kostenintensiver Transport von Kleingeld vermieden. Die Münzen wurden dort hergestellt, wo sie gebraucht wurden und umlaufen sollten.

Abkürzungen
RIC I (2) = Sutherland, Carol Humphrey Vivian: The Roman Imperial Coinage I. Revised Edition From 31 BC to AD 69, London 2. Aufl. 1984.

Abbildungsnachweis
1,1: WAG online, Auction 39, 11.05.2014, Nr. 15.
1,2: Münzen & Me­daillen Deutschland GmbH, Auction 38, 05.06.2013, Nr. 204.
1,3: iNumis, Mail Bid Sale 26, 14.08.2014, Nr. 118.
4,1: Rauch Auktion 86, 12.05.2010, Nr. 573.
4,2: CNG Electronic Auction 338, 05.11.2014, Nr. 228.
4,3: CNG Electronic Auction 169, 25.07.2007, Nr. 200.
4,4: CNG, Electronic Auction 175, 24.10.2007, Nr. 156.

Anmerkungen

1 Henning Haßmann / Salvatore Ortisi / Friedrich-Wilhelm Wulf 2016: „Luftbild mit Überraschungen. Ein römisches Marschlager bei Hannover Wilkenburg‟. Varus Kurier 18, 21-23; Henning Haßmann / Salvatore Ortisi / Friedrich-Wilhelm Wulf 2016: „Römer vor Hannover. Das augusteische Marschlager von Wilkenburg‟. Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen, 2016/4, 190-193.

2 Friedrich-Wilhelm Wulf 2018: Zu den Münzfunden aus dem augusteischen römischen Marschlager von Wilkenburg, Stadt Hemmingen, Region Hannover. In: R. Lehmann / K. Hagemann / H. Haßmann (Hrsg.), Von Drusus bis Maximinus Thrax – Römer in Norddeutschland, Festschrift zum achtzigsten Geburtstag von Wilhelm Dräger, FAN Schriftenreihe Band 1, Hannover, 126-129.

3 Joris G. Aarts / Nico Roymans 2009: „Tribal emission or imperial coinage? Ideas about the production and circulation of the socalled AVAVCIA coinages in the Rhineland‟. In: J. van Heesch / I. Heeren (Hrsg.), Coinage in the Iron Age. Essays in honour of Simone Scheers, London, 1-17.

4 Félicien de Saulcy 1858: ‟Lettre à M(onsieur) A(drian) de Longpérier sur la numismatique gauloise‟. Revue numismatique 3, 440.

5 Clive Stannard 2013: ‟Are Ebusan coins at Pompeii, and the Pompeian pseudomint, a sign of intensive contacts with the island of Ebusus?‟. In: Arévalo Gonzales / D.B. Casasola / D. Cottica (Hrsg.), Ebusus y Pompeya, Ciudades Marítimas. Testimonios Monetales de una relación = Ebusus e Pompei, Città Marittime. Testimonianze Monetali di una relazione, Cadiz, 125-156.

6 Oberaden: Peter Ilisch 1992: „Münzen aus den Ausgrabungen im Römerlager Oberaden‟. In: J.-S. Kühlborn, Das Römerlager in Oberaden III., Münster, 175-201 [Bodenaltertümer Westfalens, Bd. 27]; Anreppen: Peter Ilisch 2016: „Die Münzen aus dem Römerlager Anreppen‟. Jahrbuch für Numismatik und Geldgeschichte 66, 57-85; Kalkriese: Frank Berger 1996: Kalkriese 1. Die römischen Fundmünzen, Mainz [Römisch-Germanische Forschungen, Bd. 55].

7 RIC I (2), S. 75; 77-78 Nr. 420-425; 443-468.

8 RIC I (2), S. 57 Nr. 227-228.

9 RIC I (2), S. 58 Nr. 249.


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