VON MÜNZFÄLSCHERN UND KOLONIALPRÄGUNGEN

Die Sammlung australischer Token im Landesmuseum Hannover

Das Landesmuseum Hannover besitzt eine Sammlung von fast 200 Token-Prägungen aus den britischen Kolonien in Australien. Diese Token stammen größtenteils aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Da es in den Kolonien des Britischen Empire oft zu wenig Kleingeld gab, durften private Unternehmen vor Ort selbst Münzen – sogenannte Token – prägen lassen, die ihnen als Kleingeldersatz dienten. Die Token des Landesmuseums gewähren damit einen interessanten Einblick in die Wirtschafts- und Geldgeschichte der britischen Kolonien.

First Fleet bei der Einfahrt in Port Jackson, 1788 (Foto: Wikipedia).

Im Jahr 1788 landete die First Fleet (dt. „Erste Flotte“) an der Botany Bay an der australischen Ostküste. Viele der über 1000 Personen an Bord hatten den Weg ins weit entfernte Australien nicht freiwillig angetreten: Es waren überwiegend convicts, also Strafgefangene, die von der Britischen Krone buchstäblich ans andere Ende der Welt verbannt wurden, um hier ihre Strafe zu verbüßen. Diese Praxis britischer Rechtspflege war durch die zwölf Jahre zuvor erfolgte Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten zeitweilig ins Stocken geraten. Die stetig anwachsende Zahl Strafgefangener veranlasste die britische Regierung jedoch schnell dazu, nach einem neuen Zwangsexil Ausschau zu halten. Dass die Wahl schließlich auf Australien fiel, stand neben praktischen Erwägungen vor allem im Zusammenhang mit dem kolonialen Wetteifern mit dem Rivalen Frankreich.

Im Laufe der nun folgenden Jahre kamen immer mehr convicts nach Australien. Bereits kleinere Eigentumsdelikte wie der Diebstahl von Lebensmitteln reichten aus, um für mindestens sieben Jahre in die Sträflingskolonie verbannt zu werden. Das Geld, das die Ankömmlinge in ihren Taschen hatten, war ein Sammelsurium unterschiedlicher Münzen, die ohne genaue Regelung als Zahlungsmittel verwendet wurden und so in den Umlauf kamen. 1813 unternahm Gouverneur Lachlan Macquarie (1762-1824) den Versuch, ein einheitliches Münzsystem zu schaffen: 40.000 spanische 8-Reales-Stücke wurden im Zuge dieser Bemühung nach Australien importiert. Macquarie beauftragte daraufhin den Sträfling William Henshall, jeweils das Mittelstück der Münzen auszustanzen, sodass dieses und der äußere Kreis verwendet und das Münzgeld somit verdoppelt werden konnte – der sogenannte Hol(e)y Dollar (Abb. 1). Nicht ohne Grund hatte Macquarie Henshall mit dieser Aufgabe betraut: Henshall hatte sich in Großbritannien als Münzfälscher strafbar gemacht und war deshalb nach Australien geschickt worden – eine Ironie des Schicksals, dass ihn diese Expertise jetzt so gefragt machen sollte.

Mit den ersten Goldfunden brachen ab Mitte des 19. Jahrhunderts auch immer mehr Menschen aus freien Stücken nach Australien auf. Das durch den Gold Rush verursachte Bevölkerungswachstum führte zur Gründung vieler neuer Ortschaften und Siedlungen. Die gesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen Verflechtungen in den jungen Kolonien wurden damit immer komplexer. Rasch wurden Geschäfte, Firmen und Unternehmen gegründet, um die Versorgung der europäischen Bevölkerung vor Ort zu übernehmen. Die First Nations Peoples – also die indigene Bevölkerung Australiens – wurden von den Kolonisatoren mehr und mehr verdrängt; auch heute leben viele von ihnen marginalisiert und sind strukturell benachteiligt. Die Geschichte der First Nations Peoples und das ihnen angetane Unrecht finden im nationalen Gedächtnis des Landes auch heute noch oft zu wenig Berücksichtigung. Auch die Token des Landesmuseums erzählen diese Geschichte nicht – gerade deshalb gilt es, an dieser Stelle darauf hinzuweisen.

Fund eines Goldnuggets von 216 australischen Pfund (Foto: Wikipedia).

Die Token können aber auch dabei helfen, den Alltag der europäischen SiedlerInnen vor Ort zu beleuchten und ermöglichen es, die konkreten Lebenswege einzelner Personen nachzuzeichnen. In aller Regel wurden die Token nämlich von Privatpersonen ausgegeben: Da es im Empire einen chronischen Mangel an Kupferkleingeld gab, ging auch in den neu entstandenen Ortschaften das Kleingeld schnell zur Neige. Aus dieser Not heraus war es australischen Unternehmen bis ins ausgehende 19. Jahrhundert gestattet, eigene Token zu prägen. Token waren also private Münzen, die als Geld verwendet wurden, wenn sie auch keinen offiziellen Geldcharakter besaßen. Somit konnten viele Unternehmen

ihre Liquiditätsprobleme abmildern und zudem die Token als Werbeträger nutzen. Auf diesem Token (Abb. 2) beispielsweise wirbt der ehemalige Sträfling Lancelot Iredale (1789-1828) für seine 1820 in Sydney gegründete Eisenwarenhandlung. Der Token kann somit einen Ausgangspunkt dafür darstellen, mehr über das Leben Iredales und die wirtschaftliche Entwicklung Sydneys als Stadt im 19. Jahrhundert zu erfahren. Viele dieser Token wurden in Großbritannien geprägt – häufig in der von Matthew Boulton (1728-1809) gegründeten privaten Münzprägestätte in der Nähe von Birmingham (Soho Mint). Aber auch in Australien selbst entstanden im Zuge der Goldfunde ab Mitte des 19. Jahrhunderts Prägestätten, in Sydney wurde 1855 die erste eröffnet (Abb. 3 und 4).

Die Token des Landesmuseums sind ein wichtiger Impuls, mehr über die unterschiedlichen – wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen – Phänomene in den Kolonien Australiens herauszufinden und die Lebenswege der einzelnen Personen, die sich dort niederließen, nachzuverfolgen. Sie öffnen damit ein Fenster in die Kolonialgeschichte des Kontinents und machen diese im wahrsten Sinne des Wortes „begreifbarer“.

Einen Einblick in die Sammlung australischer Münzen des Landesmuseums Hannover bekommen Sie hier. (Hannah Viola Lahmann)

Weiterführende Literatur:

  • Australian Government, Royal Australian Mint, Australia Coin History: https://www.ramint.gov.au/bite-sized/Australian-coin-history [Zugriff zuletzt am 25.06.2020, 21:48].
  • Carson, Robert Andrew Glendinning: Coins. Ancient, Medieval and Modern. Coins of America, Africa, Australasia and Asia, Bd.3, London 1962.
  • Kluge, Bernd: Münzen. Eine Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart, München 2016.
  • Mitchiner, Michael: Jetons, Medalets and Tokens. British Isles, from circa 1830, Bd. 4, London 2007.
  • Museums Victoria Collections, https://collections.museumsvictoria.com.au/items/54307 [Zugriff zuletzt am 15.06.2020, 16:00].
  • Museums Victoria Collections, https://collections.museumsvictoria.com.au/items/62342 [Zugriff zuletzt am 15.06.2020, 15:30].
  • Osterhammel, Jürgen / Jansen, Jan C.: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, München 2017 ( 8. Auflage).

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