Klaus Pohlmann

SEID VERSCHLUNGEN, BILLIONEN

Der folgende Artikel erschien als Leitartikel in Ausgabe 3, 2023, der Zeitschrift „Niedersächsische Wirtschaft. Das regionale Wirtschaftsmagazin der IHK Hannover“. Der Autor und Chefredakteur des Magazins Klaus Pohlmann nahm die Hyperinflation in Deutschland vor 100 Jahren zum Anlass über diese und über die geldhistorischen Kompetenzen in Hannover zu schreiben.

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Wir danken Herrn Pohlmann für seine Zustimmung zur Veröffentlichung auf dieser Webseite.

Die Inflation, die vor 100 Jahren ihrem Höhepunkt entgegentrieb, ist ein Trauma der 20er Jahre. Geld und Geschichte: Hier hat Hannover heute überraschend viel zu bieten.

Abb. 1: Gedruckt, aber nicht mehr ausgegeben: Tausende von Billionen-Mark-Scheinen als Notgeld der Handelskammer Göttingen (Foto: unbekannt).

Grabmal-Verkauf, inflationsgesichert: Eine Kolonialwarenhändlerin habe einen Hügelstein mittlerer Größe geliefert bekommen, „und wir haben dafür das Recht, zum Dollarkurs vom zweiten September für Mark im Werte von sechs Dollar Waren bei ihr zu entnehmen.“ Das berichtet der Grabsteinverkäufer Ludwig Bodmer. Ein Millionen-Deal: Zwar war der 2. September 1923 ein Sonntag. Aber am Montag drauf kostete ein Dollar 9,7 Millionen Mark und war damit immerhin 600.000 Mark billiger als vorm Wochenende. Tags drauf, am Dienstag, lag der Kurs bei 13 Millionen, am Mittwoch bei 20 Millionen Mark. Deutschland in der Inflation – also wird getauscht: „Man tauscht alte Betten gegen Kanarienvögel und Nippsachen, Porzellan gegen Wurst, Schmuck gegen Kartoffeln, Möbel gegen Brot, Klaviere gegen Schinken, gebrauchte Rasierklingen gegen Gemüseabfall, alte Pelze gegen umgearbeitete Militärjacken und den Nachlaß Verstorbener gegen Lebensmittel.“

Allerdings hat Ludwig Bodmer, der auch diese Aufzählung liefert, nie gelebt. Er entstammt einem Roman: „Der schwarze Obelisk“ von Erich Maria Remarque. Auch der Schauplatz ist erfunden: Die Stadt heißt Werdenbrück, unumstritten eine Anspielung auf Remarques Heimat Osnabrück. Die Inflation, das Hintergrundbild des Romans, hat Remarque jedoch in Hannover erlebt. Er war damals Redakteur, später Chefredakteur des Echo Continental, der Werkszeitung des Reifenherstellers.

Vielleicht muss man Sätze wie diese also auch durch eine hannoversche Brille sehen: „Die deutsche Mark hat zum Herbst hin die zehnfache galoppierende Schwindsucht bekommen. Die Bettler wissen es und verschwinden sofort, da jede Minute kostbar ist; der Preis für die Suppe kann in einer Stunde schon um einige Millionen Mark gestiegen sein.“ Remarque schreibt vom täglichen Gefeilsche und Gerenne, um noch etwas fürs Papier zu bekommen, und lässt Bodmer mitten in der Verhandlung um den Rückkauf eines Grabsteins im Sommer 1923 sagen: „Es ist leicht möglich, dass Sie in einem Jahr Billionär sind.“


Abb. 2: Galoppierende Inflation: Notgeld der Handelskammern in Göttingen, Hildesheim und Hannover (Foto: K. Pohlmann).

So lange hätte es nicht gedauert. Die passenden Scheine waren schon im Herbst gedruckt. Tausende erhalten geblieben, mit dem Nennwert 1.000.000.000.000 Mark, als Inflationsnotgeld der damals noch bestehenden Handelskammer Göttingen. Datiert auf den 15. November 1923, markieren sie, faszinierend genug, sehr genau einen Zeit-Punkt der Geschichte: Gedruckt waren die Scheine, ausgegeben wurden sie aber nicht mehr – die Währungsreform kam dem zuvor, brachte das Ende der Inflation, genau zum geplanten Ausgabedatum der Billionen-Noten. Die von der neuen Rentenmark überholten Scheine überdauerten in der IHK Hannover. Ein Göttinger Schein übrigens hätte einer neuen Rentenmark entsprochen: Ja, man konnte wieder mit Münzen zahlen.

Hannover – Göttingen – Hildesheim

Geld spiegelt Geschichte. Davon kann man sich auch heute noch gerade in Hannover überzeugen lassen. Die Stadt beherbergt Sammlungen mit insgesamt über 150.000 Münzen aus zweieinhalb Jahrtausenden. Bundesweit sind nur Berlin, das mit der riesigen Sammlung im Bode-Museum mit London, Paris oder Wien konkurriert, sowie München und Dresden weiter vorn. Wobei an dieser Stelle das Münzkabinett – so nennt man sowohl die Sammlung als auch die Räume, in denen sie aufbewahrt wird – der Uni Göttingen mit rund 40.00 Münzen und Medaillen nicht unterschlagen werden darf. Und ebenso wenig das Roemer- und Pelizaeus-Museum in Hildesheim: Natürlich denkt man an Ägypten, und tatsächlich wurde zuletzt 2006 die Sammlung antiker Münzen um fast 600 erweitert. Städtische und bischöfliche Münzen gehörten aber bereits zu den Gründungssammlungen des Roemer-Museums, wurden schon Mitte des 19. Jahrhunderts erwähnt. Und dann waren es wieder Hortfunde – nicht zu verwechseln mit dem Silberfund von 1868 – kurz nach dem zweiten Weltkrieg, die allein über 4000 Brakteaten ins Museum brachten. So bezeichnet man einseitig geprägte Münzen, etwa aus der Völkerwanderungszeit und dem Mittelalter. Abgerundet werden die Sammlungen durch einen Bestand an Notgeld aus den Kriegsjahren von über 2000 Stücken.

Abb. 3: Geld spiegelt Geschichte:
Dukat des Königreichs Hannover und geteiltes Geld aus den Kolonien (Foto: Landesmuseum Hannover).

Geld macht Geschichte. So ist die gemeinsame Website der vier Einrichtungen überschrieben, die sich in Hannover mit Münzen, Geld und Geldgeschichte beschäftigen. Was dort aufbewahrt wird, lässt die historische Fantasie geradezu überschäumen. Nur ein Beispiel: geschnittenes Geld, cut money, aus der Karibik, von den westindischen Inseln. Dort wurden, weil Kleingeld fehlte, Münzen geteilt und neu gestempelt, auf Santa Lucia oder der Isla de San Martin. Das klingt nach Kolumbus, der die Inseln vor der Küste Amerikas entdeckte. Das klingt nach Piraterie, auch wenn deren Hochzeit schon vorbei war, als die hannoverschen Stücke Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden.

Denn die Engländer hatten die Freibeuterei zurückgedrängt, in den Jahren der hannoversch-britischen Personalunion. Und in dieser Zeit wurde auch das Königliche Münzkabinett zu Hannover begründet. Eine Sammlung mit Herrschaftsbezug: Niedersachen, Großbritannien und dessen Kolonien bilden geografisch die Schwerpunkte. So kamen die geteilten Münzen aus den britischen Kolonialgebieten über die Personalunion nach Hannover. Aber ebenso hannoversche Golddukaten, braunschweigische Prägungen oder Münzen, die ihren Ursprung im Harzer Silberbergbau haben.

Münzkabinette und Sammlungen

Das Königliche Münzkabinett zu Hannover, heute im Landesmuseum zu Hause, umfasst 43.000 Münzen und Medaillen. Und wie diese Sammlung der Stadt erhalten blieben, ist fast ebenso abenteuerlich wie die Geldgeschichten aus der Karibik. Die Deutsche Bank übernahm 1983 das Münzkabinett, bewahrte sie lange in der hannoverschen Niederlassung, ehemals Hannoversche Bank, am Georgsplatz auf und stellte immer wieder Teile aus. Wissenschaftlich betreut aber wurde Münzkabinett schon damals vom Landesmuseum.

Noch einmal größer als das Münzkabinett im Landesmuseum ist mit rund 100.000 Münzen und Medaillen der Bestand des Museum August Kestner in Hannover. Es ist eine Sammlung von Sammlungen: Im Ursprung die des Namensgebers August Kestner, der unter anderem als Archäologe unterwegs war und antike Münzen nach Hannover brachte. Auch Bestände aus der Sammlung des Landgrafen von Hessen-Kassel haben ihren Weg nach Hannover gefunden: Münzen sammeln war en vogue im ausgehen-den 18. Jahrhundert, Kurfürst Wilhelm I. von Hessen also wohl nicht weniger stolz auf sein Münzkabinett als sein Vetter, der hannoversche Personalunionskönig Georg III. Für den schickte Wilhelm seine hessischen Landsleute gegen Geld in den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Der adlige Seelenverkäufer sammelte nicht nur Münzen, die in den 20er Jahren für das Kestner-Museum gekauft wurden: Auf seinen Menschenhandel geht auch die Bezeichnung Blutdollar oder Blood Dollar für eine hessische Talermünze zurück. Geld spiegelt Geschichte.

Und Sammlungen spiegeln Schicksale. Horst Egon Berkowitz, ein wegen seiner jüdischen Herkunft verfolgter Rechtsanwalt aus Hannover, baute eine bedeutende Sammlung auf. Ein Schwerpunkt: deutsche Münzen des 19. Jahrhunderts. Noch zu Lebzeiten überließ Berkowitz Anfang der 1970er Jahre seine Sammlung der Sparkasse Hannover zu einem vergleichsweise geringen Preis. Seit 2009 gehört sie dem Kestner-Museum, und es ist nicht die einzige private Sammlung, die dort ihren Platz gefunden hat.

Abb. 4: Dr. Simone Vogt, Kuratorin im hannoverschen Museum August Kestner, erläutert eine Ausstellung (Foto: Museum August Kestner).

Kein Wunder also, dass Dr. Simone Vogt als Kuratorin des Museums alle Hände voll zu tun hat, die Münzsammlung überhaupt zu erschließen. Dabei steht allerdings nicht die Wirtschaftsgeschichte im Vordergrund, obwohl Geld auch dabei natürlich eine wesentliche Rolle spielt. Etwa die den Handel behindernde Währungsvielfalt im Deutschland des 19. Jahrhunderts, die schon die IHK-Gründer im heutigen Niedersachsen umtrieb und in der Berkowitz-Sammlung abgebildet ist. Oder aber Inflation: Das Historische Museum, eine weitere der der vier geldgeschichtlichen Institutionen in Hannover, besitzt einige Tausend Münzen, Medaillen und Geldscheine mit dem Schwerpunkt Stadtgeschichte –und darunter auch Inflations- und Notgeld. Kestner-Kuratorin Simone Vogt beschäftigt sich aber vor allem numismatisch und kulturhistorisch mit Münzen: Wo und von wem wurden die Münzen und Medaillen benutzt? Was waren sie wert? Und was besagen Bilder und Texte auf den Münzen über ihre Zeit und die Herausgeber?

Und auch die derzeit allgegenwärtige Provenienzforschung, also die Frage nach der Herkunft eines Stücks, beschäftigt die Kuratorin. Der Arzt Dr. Albert David, auch er wegen seines jüdischen Glaubens, beging 1940 Selbstmord. Rund 30 Münzen verwahrt das Kestner-Museum; man suche die rechtmäßigen Erbinnen und Erben, heißt es auf der Kestner-Seite auf museum-digital.de.

Weniger tragisch, aber ebenfalls noch mit offenen Fragen: Wer war Carl Patschke? Oder auch Karl Friedrich Wilhelm Patschke. Jedenfalls ein schwer reicher hannoverscher Klavierfabrikant, seines Zeichens Hoflieferant, sowie Stifter und – natürlich, sonst wäre er nicht hier genannt – Münzsammler. Rund 20.000 Stücke vermachte er 1916 dem Kestner-Museum. Viel weiß man nicht über ihn – aber Simone Vogt wüsste gern mehr über Patschke, der einen wesentlichen Teil zur Sammlung beisteuerte: Hinweise willkommen.

Das geht am leichtesten online. Und über das Internet führt auch der Zugang zu den Sammlungen und den Menschen dahinter, den aktuell Forschenden und den früher Sammelnden. Und für alle, die alte Münzen gefunden haben oder finden wollen: Auch die Fundmünzbearbeitung des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege gehört zu den vier geldgeschichtlichen Institutionen in Hannover.

Die Bestände der Museen sind nicht oder nur in Teilen ausgestellt. Manches ist auch online erschlossen. Mehr erfahren Sie im Internet oder direkt bei den Museen:

www.numismatik-in-Hannover.de
www.uni-goettingen.de/de/149540.html
https://www.rpmuseum.de

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